Erfahrungsbericht Facharbeit (von Dieter Schürmans)

Im kommenden Schuljahr wird für Schülerinnen und Schüler der Jgst. 12 in NRW die Anfertigung einer Facharbeit verpflichtend (siehe Richtlinien Psychologie, S. 37/38). Im letzten Herbst habe ich im LK Psychologie versuchsweise Facharbeiten schreiben lassen; die damit verbundenen Erfahrungen möchte ich im folgenden wiedergeben.

Damalige Vorüberlegungen

Die meisten Kolleginnen und Kollegen stehen Facharbeiten positiv gegenüber. Man fürchtet jedoch die zusätzliche Arbeitsbelastung. Fragen im Zusammenhang mit der Facharbeit sind an vielen Schulen bislang ungeklärt:

 

  • Dürfen Schülerinnen und Schüler frei wählen, in welchem Fach sie die Arbeit schreiben wollen oder werden bestimmte Fächer durch die Schule festgelegt?
  • Gibt es eine Anbindung an (bestimmte) Leistungskurse?
  • Wieviele Facharbeiten sind einer Lehrerin/einem Lehrer zuzumuten? Wird für die Betreuung von Facharbeiten Entlastung gewährt?
  • Muss eine bestimmte Klausur(z.B. die zweite des ersten Halbjahres) durch die Facharbeit ersetzt werden?
  • Wird das notwendige Grundlagenwissen im Fach Deutsch oder in jedem betroffenen Fach vermittelt?

Mir war klar, dass in jedem Fall Psychologie zum Kreis der auserwählten Fächer gehören würde. So entstand bei mir die Idee, im Vorgriff auf die neue Regelung in meinem LK der Jgst. 12 Facharbeiten anfertigen zu lassen und diesbezügliche Erfahrungen Kolleginnen und Kollegen zur Entscheidungsfindung bei den zu klärenden Fragen mitzuteilen.

 

Auch die Schülerinnen und Schüler waren für diese Idee zu gewinnen, was allerdings auch mit einigen Besonderheiten zusammenhing, die so in Zukunft nicht gegeben sein werden.

Rahmenbedingungen

Die anzufertigenden Facharbeiten durften (alte Richtliniengültigkeit) keine Klausur ersetzen; so wählte ich den Zeitraum zwischen den Klausurphasen (25.10. - 1.12.99; ca. 5 Wochen), der zudem für die Schülerinnen und Schüler den Vorteil bot, dass in dieser Zeit ca. 10 Stunden des "normalen" Kursunterrichtes ausfielen (Päd. Tag, Fortbildung des Psychologielehrerverbandes). Die verbleibenden Stunden des Kursunterrichtes sollten ausschließlich zur Vorbereitung und Begleitung der Facharbeit genutzt werden. "Hausaufgabe" sollte dann das Erstellen der Facharbeit sein. Im Gegensatz zu den zukünftig geltenden Bestimmungen legte ich fest, dass die Facharbeiten von je zwei Schülern im Team erstellt werden sollten.

 

Weitere formale Vorgaben bezogen sich auf den Umfang der Arbeit (6-8 DIN A 4-Seiten exklusive Inhalts- und Literaturverzeichnis), den Abgabetermin (1.12.99) sowie die 50% Berücksichtigung der Facharbeitsnote für die "sonstige Mitarbeit" des 2. Quartals. Bei der Notengebung sollten sowohl formale wie inhaltliche Kriterien berücksichtigt werden.

 

Anbindung an den Unterricht

Inhaltlicher Schwerpunkt des Kurshalbjahres 12.1 war Entwicklungspsychologie. In diesem Kontext fand ich es interessant (auch die Schülerinnen und Schüler) der Frage nachzugehen, inwiefern bedeutsame oder kritische Lebensereignisse die weitere Entwicklung beeinflussen. Nach der Behandlung verschiedener nomothetischer Methoden im Halbjahr 11.2 erschien es mir sinnvoll, auch eine idiographische Methode zu erproben. So einigten wir uns darauf, dass jedes Facharbeitsteam halbstandardisierte Interviews mit zwei bis drei Probanden, die ein "bedeutsames Lebensereignis" zu bewältigen hatten, durchführen sollte. Die Ergebnisse der Interviews sollten dann auf dem Hintergrund eines Erklärungsmodells von Sigrun-Heide Filipp interpretiert und in der Facharbeit dargestellt werden.

Verlauf und Ergebnisse

Die Gruppenbildung erfolgte sehr rasch. 7 Paare und zwei Dreiergruppen fanden sich auf Sympathiebasis (entsprechend der Sitzordnung im Kurs) zusammen. Die Themenwahl gestaltete sich schwieriger. Einerseits wollte man ein interessantes Thema wählen (möglichst nicht in Konkurrenz zu anderen Gruppen), andererseits bestand das Problem, geeignete Interviewpartner aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis zu finden. Schließlich wurden folgende "bedeutsamen Lebensereignisse" untersucht:

  • Immigration nach Deutschland (3mal); dieses Thema wurde ausnahmslos von Schülerinnen und Schülern gewählt, deren Eltern nach Deutschland eingewandert waren.
  • Tod eines nahen Familienangehörigen (2mal)
  • "Coming out" bei männlichen Homosexuellen (2mal)
  • Hochzeit/Eheschließung
  • Ehebruch/Trennung

Die ersten (Doppel-)stunden des Unterrichtsvorhabens wurden inhaltlich von mir bestimmt. Neben der Vermittlung formaler Aspekte (Anfertigung einer Gliederung, eines Inhalts- und Literaturverzeichnisses, eines Deckblattes, Zitation, Fußnoten) war die Planung des halbstandardisierten Interviews zentrales Thema. Danach habe ich im Kursunterricht den einzelnen Gruppen lediglich bei der Planung der Interviews bzw. der Konzeption der Arbeit Hilfestellung gegeben. Zum Teil habe ich Literatur zur Verfügung gestellt oder empfohlen.

 

Da mehrere Schülerinnen und Schüler kurz vor dem Abgabetermin unter sehr großem Zeitdruck standen, habe ich diesen kurzfristig um eine Woche verschoben (leider, ohne alle Gruppen informieren zu können). Den neuen Termin haben dann alle Gruppen mit einer Ausnahme eingehalten. Die mit einigen Tagen Verzögerung abgegebene Arbeit wurde aber ebenfalls von mir akzeptiert.

 

Der Umfang der Arbeiten war zumeist größer als von mir verlangt. Nur eine Arbeit bestand aus 6 Seiten, fast alle anderen umfassten über 10 (bis zu 17) Seiten . Der Korrekturaufwand lag bei 2 bis 4 Stunden pro Arbeit. Das Notenspektrum ging von 9 bis zu 15 Punkten. In den meisten Fällen war die Note "schlechterer" Facharbeiten durch formale Defizite bedingt. Insgesamt führte die Note der Facharbeit bei den Schülerinnen und Schülern zu einer besseren "sonstigen Mitarbeitsnote" als in früheren Quartalen.

 

 

Evaluation der Facharbeit durch die Schülerinnen und Schüler

(Folgende Ausführung beruhen auf der Auswertung von anonym ausgefüllten Plus- und Minuskarten nach Abgabe der Arbeit/vor der Benotung; n=20)

 

  • Vorbereitung: Die Vorbereitung der Facharbeit im Unterricht wurde überwiegend als zu oberflächlich angesehen (9mal). Vorinformationen seien zu ungenau gewesen, hätten zu sehr der Form und nicht dem Inhalt gegolten. Die konkrete Hilfestellung während des Unterrichts sei zu gering gewesen (1mal), das krankheitsbedingte Fehlen zur Zeit der Vorbereitungsphase hätte sich negativ auf die weitere Arbeit ausgewirkt (1mal). Positiv gewürdigt wurde das orientierende Schema zur Erfassung "kritischer Lebensereignisse" (1mal) sowie die von mir zur Verfügung gestellte Proseminararbeit. (Nicht erwähnt wurde das gemeinsame Anfertigen einer Gliederung, die Vermittlung von Grundlagen zur Zitation und Anlage eines Literaturverzeichnisses, sowie die Behandlung der Zielsetzung und Möglichkeiten eines halbstandardisierten Interviews.)
  • Selbständiges Arbeiten: Diese wurde als besonders positiv herausgehoben (8mal). Die Nicht-Einmischung des Lehrers war eine wohltuende Unterrichtserfahrung. So wurde das Anfertigen der Facharbeit als abwechslungsreiche, alternative Unterrichtsform positiv benannt (3mal).
  • Thema: Auch bei der Themenwahl gefiel die eigenständige Auswahl (7mal). Explizit wurde das Thema (1mal) als interessant, (1mal) als im nachherein doch nicht so interessant bezeichnet
  • Interviews: Zu den Interviews gab es insgesamt die meisten Stellungnahmen. Sie wurden (10mal) als positiv bezeichnet. Einmal wurde auch die Auswertung der Interviews als gut hervorgehoben. Auf einer Karte wurde der vorgesehene Zeitrahmen von 30 Minuten als nicht ausreichend kritisiert. Zwei Nennungen betrachteten die Ergebnisse der Interviews als enttäuschend.
  • Arbeitsaufwand: Übereinstimmend (10mal) wurde der Zeitdruck bzw. -mangel kritisiert. Als ungerecht wurde dabei die kurzfristige Verschiebung des Abgabetermins um eine Woche angesprochen (1mal). Einige meinten, insgesamt sei der Arbeitsaufwand zu groß (3mal), der Anspruch der Arbeit zu hoch (1mal) gewesen. Als angenehm wurde die Möglichkeit zur individuellen Zeiteinteilung (2mal), sowie der Ausfall einiger Stunden des normalen Kursunterrichts (3mal) empfunden. Die Arbeit am Computer wurde eher als unnötige Belastung (4mal) gesehen; nur einmal wurde diese als positive Erfahrung benannt.
  • Teamarbeit: Hier ist die Meinung geteilt. Die Zusammenarbeit bzw. die Partnerwahl wurde genauso häufig (6mal) als Vorteil wie als Nachteil interpretiert.
  • Ergebnisse: Die Zufriedenheit mit dem Ergebnis ihrer Arbeit bekundeten vier Schülerinnen und Schüler, zweimal wurde das Ergebnis als enttäuschend bezeichnet. In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, dass der theoretische Bezug bei der Interpretation der Interviews zu schwer herzustellen gewesen sei (5mal); auch fehlende Fachliteratur zu den einzelnen Themen (2mal) wurde als Defizit angemahnt.
  • Allgemeine Beurteilungen.: Die Facharbeit habe Spaß gemacht (3mal), es sei spannend gewesen (2mal). Die Motivation wurde als gut(1mal) und schlecht (2mal) bezeichnet. Eine Nennung betonte, dass die Konkurrenz zu anderen Gruppen zu groß gewesen sei.
  • Alltagsrelevanz: Hier gab es ausschließlich positive Beurteilungen. An erster Stelle(4mal) stand die Bedeutung für das Studium (Einblick in den Aufbau und die Methodik einer Facharbeit). Außerdem wurde der Praxisbezug gewürdigt (2mal). Positiv erwähnt wurden Erfahrungen, die nicht unmittelbar in die Facharbeit eingingen (2mal), sowie die Möglichkeit, in den Interviews etwas über andere Menschen zu erfahren (2mal).
Abschließende Überlegungen

Auch die Schülerevaluation zeigt meines Erachtens, dass das verpflichtende Verfassen einer Facharbeit in der Jgst. 12 ein sinnvoller Bestandteil der neuen Richtlinien ist. Im Anschluss an die Schülerevaluation ergaben sich allerdings von Schülerseite weitere Kritikpunkte, die bedacht werden sollten. In Hinblick auf die Benotung wurde kritisiert, dass Schülerinnen und Schüler mit eigenem Computer (Rechtschreibprogramme etc.) deutlich bevorzugt waren. Allgemein haben einige Schüler ohne große Schreibkenntnisse am Computer gerade in der Endphase der Arbeitserstellung ihre Motivation teilweise verloren.

 

Vor allem war für viele Schülerinnen und Schüler die meines Erachtens hinreichende Vorbereitung /(8 Stunden)und Betreuung (7 Stunden Kleingruppenbetreuung während des Kursunterrichts)der Arbeit nicht ausreichend. Für mich stellt sich nicht die Frage des Korrekturaufwands, sondern wie man als Lehrer unabhängig von seinem "normalen" Unterricht die Zeit aufbringen soll, mehreren Schülerinnen und Schülern in Einzelgesprächen die Grundlagen zur Anfertigung von Facharbeiten zu vermitteln.

 

Deshalb erscheint es mir angebracht, bei der Festlegung von Grundsätzen durch die Lehrerkonferenz die Wahlmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern zu beschränken, indem bestimmte (Leistungs-)Kurse festgelegt werden, in denen dann eine große Anzahl von Schülerinnen und Schülern Facharbeiten schreibt, so dass 5-10 Stunden des Kursunterrichts entsprechend genutzt werden können. Im Fach Deutsch könnte die äußere Form der Arbeit besprochen werden (was allerdings keine fachspezifische Einführung ersetzt). Dann allerdings in zeitlicher Nähe zur Anfertigung der Arbeit, etwa zu Beginn der Jgst. 12. Dies wiederum legt nahe, schulintern einen gemeinsamen Zeitraum für die Anfertigung der Arbeit sowie die zu ersetzende Klausur festzulegen.

 

Im Fach Psychologie erscheinen mir thematisch eigene Untersuchungen und Befragungen sinnvoller zu sein als nur theoretische Abhandlungen. Dies erhöht einerseits die fachmethodische Kompetenz, andererseits sind die damit verbundenen Erfahrungen für Schülerinnen und Schüler sehr "lebensnah" und tragen zur Motivation wesentlich bei.

 

Bevor im folgenden eine - sehr gute - Facharbeit von zwei Schülern dokumentiert wird, möchte ich abschließend die Schlusssätze einer anderen Facharbeit zitieren, die die "Lebensnähe" des durchgeführten Unterrichtsvorhabens exemplarisch aufzeigt.

 

"Aus unserer Facharbeit haben wir herausgefunden, dass die Eheschließung kein besonderes Lebensereignis ist. Wir haben uns vorgestellt, dass die Eheschließung so schön wie im Märchen ist. Durch die Ergebnisse sind unsere Träume wie Seifenblasen zerplatzt, aber andererseits hat die Facharbeit uns die Augen geöffnet und vor späteren Enttäuschungen bewahrt. Wir haben im Endeffekt festgestellt, dass sich nach der Eheschließung am Verhalten und den Gefühlen sich nichts verändert hat, sondern nur hinsichtlich der neuen Verantwortungen, die jetzt jeder zu tragen hat. Die Hochzeitsfeier ist das Besondere an der Eheschließung."